BERLINER KURIER

Reinhold Messner

Bergsteigen ist ein bisschen wie Sex, nur völlig sinnlos

Der Südtiroler Bergsteiger-Star im Interview

Reinhold Messner, Extrembergsteiger, Buchautor, Filmemacher.
Reinhold Messner, Extrembergsteiger, Buchautor, Filmemacher.

Maßstäbe für die Ewigkeit hat Reinhold Messner gesetzt. Der Südtiroler, der in zehn Tagen 64 Jahre alt wird, ist der erste Mensch, der auf den Gipfeln aller 14 Achttausender stand (und als erster den Mount Everest ohne Sauerstoffmaske bestieg). Doch er bekennt im KURIER-Interview: Bergsteigen ist absolut sinnlos.

Herr Messner, sind Sie ein Verrückter?

! Irgendwo bin ich schon ein Verrückter! Ein Macher, der Ideen hat, die umgesetzt werden müssen. Nur mit einem Luftschloss im Kopf kann ich nicht leben. Außerdem suche ich immer wieder die Herausforderung, das Neue und Unerreichte.

Was fasziniert Sie so am Bergsteigen?

! Das frage ich mich auch. Im Grunde ist doch völlig sinnlos, was ich da tue.

Aber?

! Wenn ich einen Berg sehe, auf dessen Spitze ich noch nicht war, gibt es auf einmal für mich nichts Wichtigeres. Ich rede mir dann immer mehr ein: Das Abenteuer zu bestehen, hinaufzusteigen und heil wieder runter zu kommen sei in der Tat etwas Sinnvolles.

Das ist Selbstsuggestion!

! So ist es!

Sie geben also zu: Auf einen Berg zu klettern und Gefahr zu laufen, sich das Genick zu brechen, ist sinnlos?

! Absolut sinnlos.

Warum tun Sie es dann?

! Ich bin nicht mein eigener Psychotherapeut. Aber ich vermute, dass mich ein Kindheitserlebnis prägte. Damals stieg ich als kleines Bübchen von fünf Jahren mit meinem Vater in den Dolomiten einen Dreitausender hoch. Das Lob, das ich hinterher von ihm bekam, spornte mich wohl an, zu zeigen, dass ich mehr kann. Wir Menschen ticken ja ziemlich simpel.

Fühlen Sie auf einem Gipfel Triumph?

! Überhaupt nicht. Meine einzige Sorge dort oben ist, nicht mehr nach unten zu kommen. Es ist wirklich derartig schizophren, dass ich mich frage: Warum bin ich eigentlich aufgestiegen, wenn jetzt nicht mal ein Hochgefühl da ist?

Genießen Sie wenigstens die Aussicht?

! Je höher ich steige, umso weniger sind meine Sinne im Stande, Aussicht und alles andere Schöne wahrzunehmen. Um mich herum ist dann nur tumber Raum – sonst nichts.

Sie bewundern also nicht mal das Panorama?

! Sie werden mich für verrückt erklären, wenn ich Ihnen jetzt sage: Den schönsten und aufregendsten Ausblick vom 8848 Meter hohen Mount Everest auf die Bergwelt hatte ich im Kino – in meiner Erinnerung war alles viel kleiner und banaler!

Fühlen Sie sich auf einem Gipfel Gott näher?

! Solche Gedanken kommen mir dort oben gar nicht. Ich fühle mich dann nur beengt. Es gibt keinen Platz zum Stehen, keine Luft zum Atmen, keine Zeit zum oben bleiben. Und trotzdem versuche ich jedes Mal, noch aufzuschreiben, was ich denke und fühle, weil ich mich später zu Hause nicht darauf verlassen kann, zu erinnern, was ich oben am Berg wirklich erlebte.

Warum diktieren Sie nicht in ein Tonbandgerät?

! Auf dem Mount Everest hatte ich in der Tat eines dabei. Mein Sprechen ging aber sehr langsam, sehr gezogen, klang ein bisschen tumb, weil mein Gehirn nur noch mit halber Kraft funktionierte, in dieser Höhe nicht mehr mit genug Sauerstoff durchblutet war.

Den Yeti, den sagenhaften Schneemenschen, sahen Sie aber tatsächlich – oder war er nur eine Halluzination?

! Den Yeti gibt es! Ich begegnete ihm zweimal in derselben Nacht.

Wie war Ihnen zumute, als Sie ihn sahen?

! Ich hatte keine Ahnung, was dieses riesige Ding vor mir im Mondlicht war! Für einen großen Schreck hatte ich aber gar keine Zeit, denn der Yeti pfiff, und von den Eingeborenen wusste ich: Gleich greift er an! Also rannte ich los und flüchtete.

Sie sind also nicht besonders mutig?

! Nein!

Hatten Sie Angst?

! Ja, natürlich!

Ist Angst gut?

! Nicht nur gut, sondern notwendig! Angst in gefährlichen Situationen ist für uns alle die Hilfe, zu wissen, was wir jetzt tun dürfen und was nicht.

Haben Sie Feinde?

! Ganz sicher sogar. Leider besitze ich nämlich das Talent, mir leicht Feinde zu machen.

Wodurch?

! Durch scharfe und spitzzüngige Bemerkungen und Kritik. Das gefällt vielen nicht.

Brüllen Sie, wenn Ihnen etwas nicht passt?

! Kommt vor. Ich selbst bin ja Perfektionist. Wenn andere also etwas nicht perfekt machen, explodiere ich leicht.

Ihre Ex-Frau Uschi nennt Sie "Menschenfresser"!

! Sie hat Recht.

Ließ sie sich deshalb von Ihnen scheiden?

! Sie nannte mich "Menschenfresser", weil ich andere Menschen so sehr mit meinen Ideen und Vorstellungen vereinnahmen kann, dass sie nur noch für mich da sind. Heute sind Uschi und ich aber gute Freunde.

Hält Ihre neue Lebenspartnerin Sabine Sie auch für einen "Menschenfresser"?

! Für sie bin ich mehr ein Junkie, immer auf der Suche nach dem nächsten Hochgefühl.

Ist Bergsteigen für Sie ein Ersatz für Erotik?

! Kein Ersatz, aber ich habe dabei ein ähnlich starkes Gefühl, welches mein Leben erst lebenswert macht, mich ganz ausfüllt und mir neue Energien gibt, aus denen große Ideen erwachsen.

Sind Ihre Kinder Cedar Simon (18) und Magdalena (20) ähnlich abenteuerlustig?

! Cedar Simon bestimmt. Der Bub liebt Kamele und reitet wie der Teufel. 2003 überredete er mich, auf einem Kamel mit einer Salzkarawane durch die Wüste Ténéré in Nigeria zu reiten.

Erfrieren konnten Sie dort wenigstens nicht!

! Das habe ich ja auch bereits hinter mir. Nach meiner Besteigung des Nanga Parbat wurden mir sechs erfrorene Zehen amputiert!

Auf jener Expedition vor 38 Jahren kam Ihr Bruder Günther durch eine Eislawine ums Leben.

! Damals warf man mir zu Unrecht vor, ich hätte ihn allein zurückgelassen und eine andere Strecke für den Abstieg genommen, um berühmt zu werden. Das ist eine Lüge, die Max-Engelhardt von Kienlin aus Rache gegen mich verbreitete.

Er nahm an jener Expedition teil, ihr Streit endete im Dezember 2007 vor dem Oberlandesgericht Hamburg mit einem Vergleich. Wofür wollte er sich Ihrer Meinung nach rächen?

! Dafür, dass er damals seine Frau Uschi an mich verlor.

Wer ist Reinhold Messner?

! Ein Besessener, der sich irgendwann in eine Höhle am Fuß des Mount Everest zurückziehen wird. Ohne Mobiltelefon und Fernseher. Dort wird er dann nur auf sich konzentriert hausen und wie Archimedes hoffen, dass auch wirklich niemand seine Kreise stört.

INTERVIEW: JÖRG BOBSIN - Berliner Kurier, 07.09.2008